Schriftverkehr zwischen Amra und Kali zum Thema Guru 2003

 

 

 

Liebe Kali,


Amra: Ich zwicke mir jetzt ein paar Minuten vor der nächsten Vorlesung ab von wegen Guru-Anfrage. Ich bin leider furchtbar im Trubel, auch meine Meditation und innere Ruhe leidet darunter, diese Nacht bin ich - sonst ein begnadeter Schläfer - um vier Uhr früh aufgewacht: habe mich dann zu Zazen hingesetzt, das war super!
 
Vorerst ein Buchtipp:
 
Ken Wilber & Bruce Ecker & Dick Anthony (Hg.):
 
Meister, Gurus, Menschenfänger. Über die Integrität spiritueller
Wege. Frankfurt a. M: Fischer Taschenbuch Verlag 1998

 

Kali: Hihi, hast du das Buch nicht auf meinem Klo liegen sehen :-))?

 

Amra: Daraus der von mir hochgeschätzte Ken Wilber:
 
"Praktisch alle authentischen östlichen und westlichen mystischen Traditionen lehren, dass der Guru ein Symbol für die dem Schüler eigene höchste Natur ist und dass die formelle Autorität und Funktion des Guru, sobald der Schüler diese Natur selbst realisiert hat, hinfällig wird. Der Guru ist Begleiter, lebendes Beispiel, Lehrer oder Arzt, nicht König, Präsident oder Totem-Meister."

 

Kali: Ja, genauso seh ich das auch :-), auf meiner Guruseite im Internet habe ich übrigens
zum Schluss auch Ken Wilber zitiert aus diesem Buch. Der Mann bringt die Tatsachen auf den Punkt, besser könnte ich es nie beschreiben.


Amra: D. h. Autorität ist nicht absolut, sondern phasenspezifisch: hat im Zen der Schüler die Einsicht erlangt, gilt er als Erleuchtungsbruder seines Meisters (respektive Schwester).

Ich glaube, es gilt zu unterscheiden zwischen einem Satguru, wie das im Ashram Ananda genannt wurde, und einem Guru.

Ein Satguru hat die höchste Verwirklichung erreicht, ist sich seiner Identität mit dem Höchsten EINEN (brahman, Dao, shunyata, Gottheit etc. je nach Tradition anders benannt das Unennbare!) bewusst bzw. kann diese Identität jederzeit herstellen, z.B. Ramana Maharshi, Ramakrishna: hier ist völlige Hingabe eine legitime Haltung: je leerer
der Schüler wird, desto mehr erhält er! Ein Satguru würde dieses Verhältnis auch nie ausnützen: leider haben aber viele, denen Guru-Status zugestanden wurde diese in der indischen Tradition allzumal vorhandene Ansicht, dass man/frau sich dem Guru völlig hingeben soll, ausgebeutet: psychisch und materiell: daher der schlechte Ruf und Ruch
der Bezeichnung "Guru".

 

Kali:  Da glaube ich, dass man nicht unbedingt ein Satguru sein muss um dem Schüler mehr geben zu können, wenn er sich voll öffnet und sich hingibt.
Es sind ja zwei verschiedene Sachen:

1. Der Schüler gibt sich auf und damit auch seinen Verstand an der Türe ab (erstaunlicher Weise tun das sogar sehr intelligente Menschen).

2. Der Schüler gewinnt irgendwann das volle Vertrauen zum Guru und öffnet sich total in Liebe zum Guru und dann kann auch ein ganz stinknormaler Guru ;-), enorm viel bewirken im Schüler.

Dieser letzte Fall beinhaltet aber nicht, dass man seine Kritikfähigkeit und den Verstand ablegt, im Gegenteil, er *beinhaltet*, dass beides erhalten bleibt.

Amra: Ein Guru ist ein spiritueller Lehrer, der nicht notwendig im ständigen Zustand des sahaja samadhi verweilt, aber wichtige Einblicke und Einsichten in höhere Bewusstseinsebenen erlangt hat und den Weg und Techniken für diesen Weg vermitteln kann: er ist somit dem Schüler um einige Nasenlängen voraus und kann ihn somit führen: ihm steht Autorität in spirituellen Dingen zu,

 

Kali:  Hahh und genau hier liegt der Haken im Gurujob :-). Jedenfalls so weit ich das bisher in meiner bescheidenen Gurutätigkeit mitbekommen habe. Es hört heutzutage einfach NIEMAND mehr auf einen Guru, es sei denn, er ist ein Schüler vom obigen ersten Typ. Vielleicht liegts auch an mir und ich bring die Sachen falsch rüber. Das frustet mich zwischenzeitlich total. Ich sag z.B. einem Schüler, er soll es jetzt mal mit seinen Übungen so oder so probieren.
Das Resultat: Klappt das nicht sofort nach zwei Wochen optimal (wenn er überhaupt mal an sich arbeitet), dann suchen wir nicht gemeinsam einen anderen Weg, oder er übt weiter, nein, es wird ein dogmatisches Buch zu Rate gezogen und da weiter geübt. Klappt das nicht gleich, gehts zum nächsten Buch. So wird es wahrscheinlich nie klappen, weil der Schüler immer im AUSSEN sucht und nicht ins INNERE geht. Ich seh das, aber ich darf nix sagen, weil wenn ich dazu was sage, dann heißt es sofort: "Ich weiß selbst am Besten, was für mich richtig ist". Was soll ich dann dazu noch sagen?!
Ich bin ziemlich verunsichert im Moment, weil ich mir einerseits sage, dass der Schüler irgendwas Elementares noch lernen muss und ich ihn suchen lassen sollte.
Andererseits, WOFÜR bin ich denn dann eigentlich hier? Ich will und kann niemandem was aufzwingen, aber sobald ich Beobachtungen von mir gebe, was ich immer schon sehr vorsichtig mache, dann krieg ich einen auf die Nase. Dass ich einen auf die Nase kriege ist nicht so schlimm, das kann ich schon verkraften ;-), aber dass ich mir völlig überflüssig vorkomme, das bringt mich in eine Gurukrise :-).
Der xx hats da leichter, der sagt sich und mir: Ich bin der Guru, ich weiß was richtig ist, wenn der Schüler meine Vorschläge nicht annimmt, dann ist er nicht mehr mein Schüler, basta. Er kommt einfach durch seinen Werdegang aus einer ganz anderen traditionellen Ecke. Wahrscheinlich mache ich mir viel zu viele Gedanken um das Ganze, aber vielleicht ist das auch für mich ein Lernprozess, in dem ich zu absolutem Selbstvertrauen finden muss, weil nur dann kann ich richtig effektiv arbeiten. Ich mache mir über jede Kritik an meiner Person und meiner "Tätigkeit" ewig viele Gedanken und wälze alles in mir hin und her.

 

Amra: Ja, das kostet nicht nur Kraft, sondern raubt dir vielleicht auch ein bisschen den Anschluss an die innere Kraft, wie du ja im folgenden andeutest. Lass mich nur eines dazu bemerken: ich glaube, du brauchst in keiner Weise exzessive Zweifel an Deiner Guru-Rolle oder Tätigkeit zu hegen: du bist über alle Zweifel hinweg legitimiert und beglaubigt und konsekriert durch die enorme Lichtkraft, die durch dich in den von dir so genannten "Entspannungen" herunterkommt: das spürt jeder, der auch nur ein Minimum an geistiger Sensibilität mitbringt.

 

 

 

Kali: Im Moment kommen ganz massive Angriffe auf diese Gurufunktion und ich merke, dass meine Kraft zurück geht,  ich kann keine Astralreisen machen etc. Ich hab immer noch, auch wenn ich mir selbst kraftlos vorkomme, erheblich mehr Kraft als andere, aber es ärgert mich, dass ich mich von solchen Sachen so rausbringen lasse.

 

Amra: Siehe oben: und wie du selber sagst: vielleicht ist das ein Lernprozess, so lange bist du ja auch noch nicht in die Rolle des Guru geraten (buchstäblich, nicht wahr), da musst du hineinwachsen und den Zuschnitt finden, der deiner Persönlichkeit entspricht: und das ist sicher mit Versuch-Irrtumssprüngen, Experimenten, Tast- und Suchbewegungen verbunden. Übrigens: ich habe in den wenigen Stunden, die ich bei dir verbringen durfte ausgesprochen geschätzt deine Suchhaltung, Offenheit, Lernbereitschaft sozusagen, das gemeinsame Heranpirschen an Interpretationen etc. (schöne jiddische Satzstellung, nicht). Es war da ein Raum von gegenseitiger Akzeptanz, in dem Freiheit und Liebe zu atmen war ... ich glaube, du bist goldrichtig unterwegs, je t'embrasse

 

 

 

Lieber Amra,


Amra: Die karmische Beziehung ist das wesentliche Kriterium: dazu kommt, dass im Regelfall ein Guru in einer Linie steht, die ihn autorisiert oder authentisiert: Mann/Frau wird Guru aus einem Guru-Chela-Verhältnis heraus - nicht aus einem Vakuum und wird vom eigenen Lehrer/in in der Guru-Position bestätigt.

Bin wieder am Sprung, Fortsetzung folgt

Kali:  Ja gut, das hätte ich ja nun, von oben und von unten :-), aber irgendwie hab ich das Gefühl, die (da oben) lassen mich jetzt im Regen stehen, so nach dem Motto: Friss oder stirb! :-))) Und der dickste Hammer ist der, dass ich NIEMALS Guru werden wollte! Erst drängen sie mich rein in den Job und nun häng ich da.....Wie haben die das nur geschafft, dass ich in dieser entscheidenden Entspannung *wußte*, das ist genau meine Lebensaufgabe? Na ja eine ganze zeitlang danach hatte ich immer noch das Gefühl, im Moment hab ich es nicht, komme mir wie eine totale Versagerin vor und völlig überflüssig.. Na ja, diese ganze Entwicklung beinhaltet eben auch Sachen, die ich früher für absurd gehalten hätte und es macht verdammt einsam im Inneren. Desto weiter ich komme auf meinem Weg, desto einsamer bin ich hier, trotz der vielen lieben Freunde, die ich hier habe. Es ist wie bei einer Pyramide, desto höher du kommst, desto größer ist der Überblick, aber desto weniger Leute hast du um dich herum, die das mit dir teilen können. Natürlich hab ich immer meine astralen Helfer und Götter, die sind immer da, aber ich bin eben auch ein Mensch und mir fehlt der Austausch.

 

noch ein dickes Bussi, muss jetzt Mittagessen machen
Kali

 

 

Liebe Kali,

Amra: Danke bestens für deine wirklich ausgiebigen Reaktionen auf meine schnell mal hinaus gefeuerten Geistesfünklein den Guru betreffend: ich hab nur ein paar Kriterien angeführt, diesmal möchte ich versuchen, einige persönliche Reflexionen anzuschließen (die hängen teilweise mit meinen Erfahrungen zusammen, versteht sich):

Noch etwas wollte ich erwähnen und das hängt mit deinen Problemen, sowohl deine Guru-Identität als auch das Schülerverhalten angehend, zusammen: wir leben zum ersten Mal in einem Zeitalter, in dem uns alle so genannten esoterischen und geheimen und okkulten und was sonst noch Lehren per Buch oder Internet zugänglich und verfügbar sind, zudem sind wir sehr mobil geworden und nicht mehr ortgebunden. Ehedem wurde die Lehre mündlich, persönlich tradiert, vom Meister an den Schüler  direkt weitergegeben: diese Art und Weise der Überlieferung hat Auswirkungen auf das Guru-Schüler-Verhältnis: es war sehr intim, exklusiv, lebenslang, autoritär und oft mit Abschottung nach außen verbunden, Seitensprünge waren nicht geduldet, Ungehorsam auch nicht  ... fast wie in einer patriarchalischen Ehe:

Ich glaube aber, dass die Guru-Rolle sich durch die "Exoterisierung" spiritueller Lehren und die enorme Informationsflut sie betreffend, auch geändert hat oder ändern muss:
zunächst ist sie nicht mehr exklusiv: der Schüler oder besser: Suchende von heute geht da mal in ein Seminar, dort auf ein Retreat, einmal ein wenig Vajrayana, dann tantrisches Streicheltraining und am nächsten Wochenende Vipassana: das kann zu einem Von-einem-Lehrer-zum-nächsten-Rennsyndrom werden (schlechte Variante), hat aber auch entschieden positive Seiten: der Suchende kann und soll vielleicht auch, aus verschiedenen Traditionen Dinge lernen, möglichst viel von möglichst vielen. Das schließt nicht aus, dass der Suchende sich einer bestimmten Tradition oder einem bestimmten Guru besonders verbunden fühlt. Ferner gibt es ja auch aus der Tradition die schöne Aussage, das alle bzw. alles einem zum Guru werden kann. Aber ich denke, der Guru muss seinen Schüler eines Tages in die Unabhängigkeit entlassen können, genauso wie akzeptieren, dass er/sie zu jemand anderem geht, um dort zusätzlich etwas zu lernen. Schließlich ist ein Guru nicht für jeden geeignet und meistens auch nicht imstande alles zu bieten.

Uebrigens hast du recht, dass auch einem kleinem "Guru" (also Nochnichtsatguru) in der Haltung der Hingabe und Liebe begegnet werden soll: das macht das Herz auf, in das dann die geistige Kraft hineinströmt: und zwar soviel, wie es offen ist: der Verstand wird dabei nicht abgegeben: dies wiederum wird oft missverstanden und oft auch in einer noch infantilen Haltung seitens des Schülers getan: er möchte nun ein für allemal alle Probleme gelöst haben und der Guru ist die allzuständige Instanz, der er sich unreflektiert hingibt: das gibt Sicherheit, weiteres Nachdenken ist nicht mehr nötig, ist bequem und überlastet den Guru natürlich. An Vayu habe ich immer den brennscharfen Intellekt bewundert und geliebt, wir waren auch stets aufgefordert, Traditionen und Übungen kritisch zu hinterfragen.


Liebe kali, ich verstehe Deine Zweifel und Bekümmertheiten sehr gut, du kannst immer alles rauslassen... ich wünsch Dir viel Kraft von oben und überall her, außerdem: du schreibst, Leute seien verstört, wenn du mal "Käse" daherredest: ich finde hingegen gerade das an Dir besonders liebenswert: es macht dich echt authentisch: als Guru, der voll und ganz Mensch ist: außerdem holt das Leute runter von einer Projektionshaltung, bei der der Guru immer auf dem Lotospodest sitzen muss ... alles Liebe

Amra