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Annahme als Schülersohn und neue Dimensionen

Die Wohnung von meinem Guru und dem Meister hatte Geschichte. Sie lag in der Innenstadt von Wien und zwar am Rande des alten Stadtgrabens. Alles rund herum hatte die Patina wechselvoller Ereignisse der letzten tausend Jahre. Türkenkriege, Pest, ein Knotenpunkt für den Handel mit dem Orient – die Stadt hatte ein wechselvolles Leben. Das strahlte auf die Atelierwohnung aus, von deren Dachterrasse man auf die Giebel der umliegenden Häuser sehen konnte, aufgelockert durch die zahlreichen Kirchentürme dazwischen.

Die dortige dichte Aura hatte auch eine Rückwirkung auf mich. Sie erhöhte meine Medialität. Zur mentalen und emotionalen Patina der Stadt kam nämlich noch die Aura der Wohnung hinzu. Das will ich genauer erklären. Damit man sich besser einleben kann, will ich zunächst mein „Schlafzimmer“ und dann die restliche Wohnung beschreiben.

Die Wohnräume entstanden durch Unterteilung eines ehemaligen breiten Ganges, der sich schlauchartig um einen großen hallenartigen Raum bog („Ausstellungsraum“). In der Verlängerung des hallenartigen Raumes, durch dünne Wände getrennt, waren der Meditationsraum und am anderen Ende das Zimmer des Meisters. Das Zimmer des Meisters war nur über den Korridorbereich erreichbar.
Ich schlief in dem großen Raum. Er war mit dem Korridor durch eine im Spitzbogen zulaufende, mit Eisenrosetten verzierte, schwarze Holztür verbunden. Die Türe war solchen aus alten Burgen nachempfunden. In dem Raum gab es einen offenen Kamin und schräg gegenüber, einen düsteren, mit schwarzem Holz verkleideten, schmalen Gang, der etwa drei Meter lang war und zu dem zwei oder drei Stufen hinauf führten. Wenn man sich vortastete, konnte man an seinem Ende eine Holzbank vorfinden. Kein Sonnenstrahl konnte dort zu der dem Licht abgekehrten Seite vordringen. Wie es den Anschein hatte, war der Gang einmal von zentraler Bedeutung, denn um ihn zu gestalten musste man eigens links und rechts hiervon zwei Kammern bauen. Gerüchte besagten, dass hier einmal geheime Kulte durchgeführt wurden.
Das Kopfende meines Bettes war nur drei Schritte von den Stufen des dunklen Ganges entfernt.

Wenn ich im Bett lag und zur Zimmerdecke empor blickte, sah ich über mir schwarze Deckenbalken mit Tierköpfen. Das Kopfende von meinem Bett war ungefähr einen Meter von dem geheimnisvollen Gang entfernt. Ich lag anscheinend im Zentrum eines ehemaligen magischen Kultraumes. Noch immer schienen einige der früher beschworenen Kräfte im Raum zu hängen. Ich bin überzeugt, die magische Aufladung des Ortes erweckte mein mediales Empfindungsvermögen und führte zu Halbschlafzuständen mit geisterhaften Begegnungen.

ein von unsichtbarem Leben geladener Ort

Ich liebte diese prickelnde, geladene Atmosphäre. Oft sah ich nach einem kurzem Albtraum in einer Art Wachtraum eine Geistergestalt vor mir, die mich anstarrte. Ich sah sie mir zumeist genau an und schlief anschließend ungestört weiter. Es gab auch eine alte Frau, die sich fürsorglich um mich zu kümmern schien und an den Bettdecken zupfte, als wollte sie diese richten. Oft stand sie einfach nur in meiner Nähe. Sie sorgte sich fürsorglich um mich, das fühlte ich.

Meine Fähigkeit des Astralreisens kam in der dichten magischen Atmosphäre der Räumlichkeiten des Ehepaares voll zur Entfaltung. Das hatte großen Einfluss auf meine Yogaentwicklung aber auch darauf wie ich später der Welt begegnete. Wenngleich die ersten außerkörperlichen Phänomene sich nach Albträumen und Schlafparalyse als Geistersehen zeigten, so entwickelte sich diese Fähigkeit doch in wunderschöner Weise weiter. Es führte dazu, dass ich bald darauf atemberaubend schöne Landschaften bereiste, um danach einen Nachhall von Glück und Begeisterung über die erschauten Schönheiten bis weit in den Tag hinein zu nehmen.

Durch diese inneren Reisen erlernte ich die Dinge unserer Welt ebenfalls aus der Perspektive der in den Astralreisen erlebten euphorischen Zustände zu betrachten. Ich lernte in Dingen, die von anderen als belanglos übersehen werden, Schönheiten zu erkennen und ihnen eine tiefere Bedeutung beizumessen. Viele kleine Geschehnisse meiner Astralreisen bleiben wie die Bilder eines Fotoalbums in meinen Erinnerungen erhalten. Ich möchte zur Veranschaulichung wahllos zwei solcher Bilder herausgreifen:

Ein Bild aus einer späteren Zeit, so wie es mir gerade einfällt:

Zurück zu dem großen Raum, in dem ich schlief und den ich als einen ehemals magischen Versammlungsraum empfand.

Jenseits des „magischen Zentrums“, dort wo mein Bett stand, war der Rest des Raumes mit Ölgemälden des Meisters dicht behangen und am Boden stapelten sich Stöße von Gemälden. Ich liebte jedes einzelne Bild. Ich kannte sie alle und sie waren für mich Beschreibungen von Seelenlandschaften, in denen ich genau die Stimmung und das Empfinden des Meisters erkennen konnte.

Es war für mich interessant zu sehen, wie sich mit der Zeit Malart und Sichtweisen des Meisters veränderten. Er liebte das herrliche Goldgelb der Ähren, die sich vom strahlend blauen Himmel abhoben und durch die Sonne des steppenartigen Burgenlandes golden aufleuchteten. Erntebilder waren ein beliebtes Motiv, denn hier kam Bewegung und Aktion in das goldene Meer der Ähren. Auf den ältesten Bildern sah man Bauern in ihren blauen Schürzen wie sie das Getreide mähen und die Garben binden. In späteren Bildern rückten die Schnitter in den Vordergrund. Dieses Motiv wurde mit zunehmendem Alter des Meisters zentraler. In seinem letzten Jahr war der Schnitter übergroß, halb durchsichtig, mit dem Himmel verwoben, seine Sense senkrecht haltend – Gevatter Tod als Schnitter, ein herrliches Bild. - Der Tod war dem Meister bereits nahe und ein Gast, der häufig die Wohnung betrat.

Eines Tages ereignete sich folgendes: Der Meister besaß ein für ihn „heiliges“ Objekt, sein Siegelring mit dem Wappen der Ballabenes. Eines der wenigen Objekte aus der Familientradition, das nach der Flucht aus Prag erhalten geblieben war. Diesen Siegelring pflegte er vor dem Malen abzulegen. Leider nicht an eine bestimmte Stelle, sondern jedes Mal wo anders. Dann am Ende des Malens begann die Suche. Sehr oft war der Ring nirgends zu finden und der Meister erregte sich zusehends, in der Angst den Ring für immer verloren zu haben. Jedes mal rief er mich verzweifelt zu sich und immer wieder fand ich wie schlafwandelnd den Ring, oft an unmöglichen Stellen. Meist, sobald ich den Ring gefunden hatte, staunte der Meister, dass es mir so unerwartet schnell gelungen war.

Man kann sich vorstellen, wie erstaunt und gerührt ich war, als mir der Meister eines Tages den Ring übergab und mich bat ihn zu tragen. Mit dieser Geste hatte mich der Meister als Sohn angenommen, eine Geste, die ihm und mir mehr bedeuteten als jeder amtliche Akt. Mit viel Liebe und in Erinnerung an den Meister trage ich den Siegelring nach wie vor und wenn ich darauf blicke fühle ich den Meister nahe.