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Der erste Yogaunterricht

Meine Yogaunterweisung begann noch in der selben Woche. Ich fand alles was ich lernte phantastisch spannend. Ich saugte es förmlich auf, als wäre jedes Wort eine Offenbarung. Es war am Anfang sehr viele theoretisches Wissen, das ich lernte. Da hörte ich über Aura, Chakras, Gedankenformen, Dinge einer unsichtbaren, mir bislang unbekannten Welt. Anhand etlicher Biographien von Yogis, die ebenfalls in den Stunden gebracht wurden, kam ich zu der Überzeugung, dass dieses Wissen erprobt und bewährt war. Durch Jahrtausende wurden im Yoga Erfahrungen gesammelt, niedergeschrieben oder als großes Geheimnis von den Lehrern an ihre Schüler weiter gegeben.

Auch die Übungen sprachen mich sehr an. Die Übungen waren anders als viele gegenwärtige Meditationen, in welchen man mit abgehobenem Lächeln der Welt mit ihren Problemen entflieht. Derlei, auch wenn es für die Psyche sehr heilsam sein mag, war außerhalb meines damaligen Interesses. Fakire mit besonderen Fähigkeiten lagen mir näher. Dem entsprachen durchaus die Übungen Anandas, falls man sie entsprechend interpretierte, was ich tat. Die für mich faszinierendsten Übungen waren Tiefentspannung und Sinnesübungen.

Die erste Sinnesübung, die ich erlernte, war eine Geschmacksübung. Ich glaube, das war im ersten oder zweiten Monat, dass ich bei Ananda war. Es galt einen Geschmack real zu erschmecken, ohne eine Kostprobe einzunehmen. Ich machte die Übung auf Honig und Zucker, wobei ich mit meiner Zungenspitze durchzuschmecken begann, einen Zuckergeschmack erwartend. Einen Geschmack zu erwarten ist besser als ihn sich vorzustellen. Es dauerte ein, zwei Monate, bis es mir gut und reproduzierbar gelang.

Das erste Erfolgserlebnis eines intensiven Süßigkeitsgefühles auf der Zungenspitze war für mich beeindruckend. Ich triumphierte. Ich konnte meine Sinne willentlich kontrollieren und etwas erschmecken, das es in Wirklichkeit nicht gab. Dass dergleichen unter Hypnose möglich ist, wusste ich. Jetzt aber vermochte ich es, ohne auf die Hilfe eines Hypnotiseurs angewiesen zu sein.

Die nächste Übung war eine Geruchsübung. Meinen Mitschülern und mir wurde eine winzige Spur von Duftöl auf ein Tuch getupft. Wir rochen daran, legten das Tuch zur Seite und versuchten den Geruch nach wie vor zu halten. Wenn wir den Eindruck hatten die Übung gut zu beherrschen, gingen wir dazu über den Geruch ohne vorherige Geruchsprobe herbeizuführen. Zu Hause übte ich emsig ohne Duftvorgabe weiter.
Als Ziel hatte ich mir den Geruch einer Zyklame vorgenommen – mein Lieblingsgeruch. Schon allein die Sehnsucht nach diesem geliebten Geruch garantierte baldigen Erfolg. Wie gerne kniete ich im Herbst auf den Waldboden nieder, um aus dem köstlichen Gemisch von feuchter Erde und Laub diesen himmlisch süßen Duft in tiefen Atemzügen einzunehmen. Als Kind pflückte ich dicke Sträuße dieser Blüten, ein Waldfrevel, den ich mir später nie verzieh, nachdem ich mitbekam, wie selten die Blumen in den austrocknenden Wäldern mittlerweile geworden sind.

Bei meiner Begeisterung stellte sich bald Erfolg ein. Nach nicht ganz drei Wochen roch ich gelegentlich diesen lieblichen Duft und nach einem Monat gelang es mir problemlos.

Eine weitere Übung, die mich faszinierte, bestand darin auf der Haut ein Wärmeempfinden zu erzeugen. Zunächst wurde diese Übung auf die Fingerspitzen und dann die ganze Hand gemacht. Die Wärmewahrnehmung wurde auf andere Körperregionen erweitert. Anspornend war für mich ein Buch von Alexandra David Neel, in welchem beschrieben wird, dass tibetische Yogis unbekleidet in ihren Höhlen durch ihre Hitzeübungen (g-tummo) der eisigen Kälte des Winters zu trotzen imstande waren. Auch in anderen Büchern las ich dies, etwa in einer Biographie über Milarepa, meinem Lieblingsyogi. Es wird mir warm ums Herz, wenn ich an ihn denke! Später zeigte sich, dass die Erwärmungsübung für mich bestens geeignet war, um in den Zustand außerkörperlicher Wahrnehmungen hinein zu gleiten - der Fähigkeit den physischen Körper zu verlassen, um mit dem Seelenkörper zu reisen. Das war die faszinierendste Fähigkeit, zu der mir der Yoga verhalf.

Als letzte und schwierigste Sinnesübung lernten wir Visualisieren. Darunter haben wir eine Übung mit realen optischen Wahrnehmungen verstanden, also keine Bildvorstellungen. Es gilt hierbei auf den Augenhintergrund zu schauen und zu warten bis Bilder kommen. Der Versuch mittels Vorstellungen dahin zu gelangen führt zu Misserfolgen. Einzig und allein die Thematik darf man als Erwartungshaltung vorgeben, wie etwa Wolken, Meeresbucht, schneebedeckte Berge (im Anfangsstadium beginnt man mit Schattenbildern). Im fortgeschrittenem Stadium waren es bei mir bevorzugt Kristalle, Blumen und gotische ornamentale Kirchenfenster.

Erst viel später lernte ich die theoretischen Hintergründe zu erfragen. Folgende Gedanken liegen diesen Übungen zugrunde: vergleichen wir unser Gehirn mit einem Computer. Unser Sehvermögen entspricht dem Monitor. Die Bilder, die darauf sichtbar werden, können verschiedenen Quellen entstammen. Im Vergleich entsprechen die Bilder, deren Quelle die Festplatte ist, den Bildern unserer Träume, unseres UBW. Die Bilder, die wir mittels der Augen aus der Außenwelt empfangen, entsprechen dem Intranet. Die Bilder, die von viel weiter kommen, aus dem jenseitigen Bereich, entsprechen den Bildern aus dem Internet. Die Übungen, die ich, wie oben erklärt, bei Guru Ananda erlernte, waren ein Training, so als würde man einen Monitor in seinem Empfang und seiner Bildqualität verbessern.

Die Stunden unseres Minikreises, wir waren nur drei Yogaanwärter, erfolgten meist in Kaffeehäusern. Zumeist saßen wir in jenen warmen Septembertagen in nahe gelegenen Gastgärten, etwa im Volksgarten oder Kaffee Haag. Es waren kleine Bauminseln inmitten des Häuserdschungels der Innenstadt von Wien.

Der Meister, Anandas Gatte, und Ananda liebten die Natur. Nie wurde vergessen Gebäck zu bestellen, das an Spatzen und Tauben verfüttert wurde. Die Spatzen holten sich ihre Brotstückchen aus der Hand und belohnten uns durch ein fröhliches Gezwitscher. Einmal, in späteren Jahren geschah es, da riss ein Anfangsschüler ein Kastanienblatt ab, um etwas ausgeschütteten Kaffe abzuwischen. Ananda hätte ihn vor Empörung beinahe aus dem Yoga verabschiedet. Sie machte dem Schüler klar, dass es im Yoga oberstes Gebot ist das Leben zu achten.

Ich konnte mich in ihren Zorn gut hinein fühlen, denn ich war in einer Gärtnerei aufgewachsen und die Bäume und Rosen mit denen ich Tag für Tag umgeben war, waren Lebensgrundlage und Mittelpunkt des Interesses meiner Eltern. Diese Kindheitserinnerungen hatten sich mir tief eingeprägt, so dass die Pflanzenkunde zu einer späteren Leidenschaft wurde. Später verhalfen mir die grünen Pflanzengeschwister zu tiefen mystischen Zuständen. Wie sich meine innere Beziehung zu den Bäumen und Kräutern vom Spielplatz bis zur Mystik entwickelte, möchte ich in diesen Zeilen wiederzugeben versuchen:

Umgeben von den Häusern der Stadt
waren die Felder meines Vaters.
Felder von Rosen und Blumen.
Ich spielte im Schatten der rauschenden Bäume,
und lernte sie lieben.

Später ging ich durch blühende Wiesen,
kniete nieder vor mancher Blume,
bewunderte ihre Schönheit,
suchte in Büchern nach ihrem Namen
und ihren vielfältigen Geschwistern.
Ich war entzückt über die Vielfalt der Arten,
mit denen Gott die Welt beschenkte.

Ich wurde älter,
weiter ging ich einen Schritt in der Begegnung.
Aus dem Verstehen wurde Staunen.
Welch Wunder umgeben uns,
ein jedes Blatt ist einzig,
kein zweites gleicht ihm.
Ich beginne zu erkennen:
kein Stein gleicht dem anderen,
einmalig ist selbst das Kleinste.
Welche Vielfalt im Großen und Kleinen!
Oh Wunder der Schöpfung!
Oh Wunder Mensch,
der du lernst die Größe Gottes zu erahnen!

Zirka nach einem Monat Unterricht zu dritt erfuhren wir zu unserem Erstaunen, dass es einen Yogakreis mit etwa zehn Schülern gab. Die Kreisschüler hatten nur einmal in der Woche Stunde. Zumindest ich begriff nicht, dass wir drei Yogaanwärter im Vergleich zu ihnen, gemessen an dem täglichen Unterricht, eine sehr bevorzugte Sonderstellung hatten. In meiner Ahnungslosigkeit dachte ich, dass wir noch zu unwissend wären, um die Ehre zu haben in einer Versammlung fortgeschrittener Schüler zu sitzen. Ich kann mich erinnern, damals als wir drei erstmals in eine solche Kreisstunde eingeladen worden waren, wie ich mit großen Augen die Alteingesessenen bewundert hatte. Staunend sah ich zu, wie sie mit diversen Ritualen die Stunden eröffneten und Asanas (Körperhaltungen) vorführten. Alles war für mich neu, konnte man doch all diese Elemente nicht in Kaffeehäusern bringen. Ich dachte aber weniger praktisch. Für mich Staunendem war es die hohe Kunst fortgeschrittener Schüler.

Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass wir bevorzugte Schüler waren, weil einer von uns durch Ramakrishna in einer Vision Anandas angesagt war.

Ananda hatte schon seit Kindheit Erscheinungen, die sie bisweilen in die Zukunft vorausblicken ließen. Aber meist, wie auch bei dieser Ankündigung durch Ramakrishna, ging dieses Vorauswissen nicht sehr ins Detail und ließ vieles verschwommen. Eine Erscheinung mit Zukunftsweisungen war Ananda somit vertraut und etwas, das sie nie in Zweifel zog, weil es sich bis zu diesem Zeitpunkt immer erfüllt hatte. Eines ihrer einprägsamsten Erlebnisse dieser Art war folgendes, das ich in ihren eigenen Worten wieder geben will:

Gelegentlich, außerhalb des Unterrichtes und hauptsächlich durch Gespräche mit dem Meister, bekamen wir manch wundervolles Geschehnis aus dem Leben von Ananda zu hören. Erstmalig bekam ich tiefere Einblicke in die vielen Lebensereignisse älterer Menschen, wenn man von meinem Großvater absieht, der mir viel über den ersten Weltkrieg erzählt hatte. Und, was für mich wichtig war, es war auch viel Wundersames darunter, was meinen Glauben an den Yoga zusätzlich festigte.

Bald war ich nicht mehr auf das Hörensagen angewiesen, sondern erlebte manches Wunder selbst. Darunter war ein ganz besonderes Wunder, eine neue Fähigkeit, nämlich die des Astralwanderns. Es war für mich eines der größten Geschenke, die mir das Leben bescherte. Es machte mich innerlich reich, ließ mich manches in tieferen Perspektiven erkennen.

Bei der ersten Astralreise war ich mir der herausragenden Bedeutung nicht bewusst. Ich hielt es für selbstverständlich, dass sich Jenseitige jederzeit bemerkbar machen könnten, wenn es sich um wichtige Angelegenheiten handeln würde. Um solche Möglichkeiten des Kontaktes zu erlernen und zu intensivieren war ich ja im Yoga. Viel später erst erkannte ich, dass man Astralreisen nicht so ohne weiteres erlernen kann wie etwa Schulwissen.

Es war folgende Astralreise, die ich etwa im vierten Monat meines Yoga hatte:

Ich hatte schon vor dem Yoga in meinen Jugendjahren gelegentlich Erlebnisse von veränderten Bewusstseinszuständen. Es war eine Palette von kosmischer Schau bis zu euphorisch verklärten Wahrnehmungen, ausgelöst durch besonders eindrucksvolle Umweltereignisse. Oft verlor ich mich hierbei in einer Glückseligkeit. So erinnere ich mich noch deutlich: Es war Winter, ich fühlte mich sehr einsam und war in trauriger Stimmung. Ich fuhr mit dem Rad entlang des Ufers vom Westeindersee, Aalsmeer, Holland, als ich helles Geläute hörte, wie von tausend Glasglocken. Ich stieg von meinem Fahrrad und ging zum Ufer. Der Wind trug unzählige kleingebrochene Eisschollen heran, die Welle um Welle an das Ufer geworfen wurden und in hellen Tönen klirrend aneinander schlugen. Lange lauschte ich fasziniert diesem gleichsam überirdischen Konzert von tausenden Glocken. Die traurige Stimmung war verflogen und einer Verzückung gewichen.

Derlei Erlebnisse zeigten mir, dass die Welt auch in einer Weise wahrgenommen werden kann, die außerhalb der konventionellen und anerkannten Rationalität liegt und dennoch dem inneren Empfinden nach einen ebenfalls wahren Aspekt der Schöpfung zeigt. Solche Erlebnisse bereiteten mir mehr Freude als manches Gut einer Welt, in der nach Gewinn und Nutzen beurteilt wird. Mehr und mehr sehnte ich mich nach einer Heimat, die mir hinter einem Schleier des Geheimnisvollen verborgen war. Ich hatte das Bedürfnis sie für mich greifbar zu machen. So schleppte ich in meinem ohnehin schweren Gepäck auf meinen Reisen drei Specksteinfiguren mit mir, die geheimnisvoll mit einer anderen Welt verbunden schienen. Es waren dies ein Affe mit einer Kuh, deren Körper mit kreisförmigen Ornamenten verziert war, ein Fackelträger neben einem Einhorn und eine kleine Buddhafigur. Diese Figuren waren mir gleichsam Schlüssel zu einer anderen Welt, deren Schloss und Tor ich noch nicht gefunden hatte.

Jetzt, da ich einen Guru gefunden hatte, stand ich vor dem verheißungsvollen Tor. Der Guru war für mich wie ein Hüter der Schwelle, bereit mir den Zugang zu einer verheißungsvollen Welt zu öffnen.